Geschichten


Bischofsteiner Bummel

Peter Hirschfeld. 1938
Abenteuer mit Barry Enoch Lemcke (1924-1928)


Bischofsteiner Bummel  -- ganz groß --!

 

Die sonnabendlichen Dampfnudeln sind aufgefüttert, der Gong ertönt und Rpk. sagt Wäsche abholen an. Heute leert sich der Speisesaal etwas schneller. Man merkt gleich, dass die Jungen sich nicht zur Arbeitsstunde begeben, sondern heute etwas Besonderes vorhaben. Alles was soeben 16 Jahre alt ist, macht sich ungewöhnlich fein! Ja sogar Schlipse tauchen auf. Was ist wohl bei uns überhaupt ein Schlips? Außerdem wir man immer dran gezogen, also, wie gesagt, eine Ausnahme.
In der Primanerwaschgelegenheit geht es nun hoch her. Hier herrscht ein ,,wüstes" Gedrängsel, ja sogar bis auf den Gang steht man mit dem Handtuch über der Schulter, Seife und Rasierapparat in der Hand, Schlange und wartet, bis man endlich einen Platz am Wasserhahn ergattert.
,,Mensch, kannst auch fragen, wenn Du meine Seife nimmst. Nimm mal Deinen Keks ,n bischen ,,awai"; was brauchst Du beim Zähneputzen in den Spiegel gucken? Kann ich Dein Handtuch haben? Sag mal, hast Du noch ,ne Hose übrig? Leib mir doch mal bitte ein Hemd, Frau Prüger wollte keins rausrucken."
So quatscht alles durcheinander. Alles wird zusammen geborgt bis sich schließlich die "feine" Bischofsteiner Gesellschaft um 3 Uhr auf dem Hauptbahnhof in Lengenfeld einfindet. Alle verlangen am Schalter natürlich dieselbe Karte. "Eschwege Sonntag=rück". Natürlich sagt man das nicht so laut, denn sonst merken die anderen Leute, dass diese "Herren" gar nicht nach wer weiß nicht wohin fahren! - Weiterfahren, jeder kommt sich wie ein "Schlossherr" vor, verlassen diese Jünglinge nach einer halben Stunde und etwas Fahrt den Bahnhof in Eschwege. um auch schon wenige Meter weiter ihre Flammen mehr oder weniger herzlich zu begrüßen, denn diese wissen recht gut, wann der Zug einläuft!
Was wo anders die Strandpromenade, der Broadway oder Kurfürstendamm. ist hier in Eschwege der Weg vom Bahnhof zum "Wiener Cafe". Am meisten hält man sich dort auf. Die schrecklich vornehmen Bischofsteiner sind immer sehr froh, wenn die Mädchen um der schlanken Linie Willen keinen Kuchen essen, denn so kann man nach Vermögen entweder ihren Teil mitfuttern oder man braucht sich nicht soviel von seinen Kameraden zu borgen. Ja, auf Pump ist das meiste von ihnen. Es kommt oft genug vor, dass einer nur fremde Sachen anhat. Peinlich ist es nur, wenn dann einer so "gemein" ist, und sagt: "Rpks neuer Hut steht Dir aber ganz gut!"
Herr Bogen, einer unserer Lehrkräfte, meint immer, ich hätte ja meine Schlipse von Rpks. , wenn ich ihm mal einen besonders schönen Rotsiegel oder einen Knitterfreien zeige und dieser dann seinen in den Schatten stellt.
So wird schrecklich viel erzählt und furchtbar angegeben. Man muss das einmal sehen, den großen Tisch mit den vornehmen Herrschaften in grünen, braunen und gelben Anzügen. Natürlich rauchen die Herren Zigaretten, die sonst keiner kennt und sehr teuer aussehen, aber in Wirklichkeit 2 Pfennig kosten.
Aber bald ist es 5 Minuten vor 6 Uhr und dann geht das "Gerase" los. Der Mantel wird auf der Straße angezogen, die Mädchen wie ein Koffer hinterher geschleift, und dann das sportliche Können unter Beweis gestellt. Alles tobt zum Bahnhof und lässt seine kleinen Mädchen zurück, welche sich noch an die Eisenbahnschranken stellen, um den davonfahrenden Bischofsteinern nachzuwinken.
Neuerdings ist ja sogar in Zusammenarbeit mit dem Eschweger Schiller-Pensionat eine Tanzstunde eingerichtet. Aber davon das nächste Mal.

Peter Hirschfeld (,,Pudding") 
(1935 - 1940)


 Abenteuer mit Barry

Zeitlebens bin ich immer ein Freund der Tiere in Haus und Hof gewesen. Als ich 11 jährig nach Bischofstein kam, war es vor allem ein junger dicker Bernhardiner "Barry", mit dem ich herzliche Freundschaft schloss.

Tagsüber lag er immer auf der Eingangstreppe zum Alten Schloss, nachts aber strich er rund um die Gebäude und erschreckte "Spätheimkehrer". Er richtete sich auf, legte dem Überraschten die Pranken auf die Schulter und funkelte ihn aus seinen großen Augen an.

Mich hatte er in sein Herz geschlossen.  Wir tobten miteinander wie Jungens und knuddelten auf dem Boden. Ich versorgte ihn auch mit Leckerbissen aus der Küche. Manchmal waren es Zugaben von Frau Kaufhold, manchmal klebten sie mir einfach an den Fingern, wenn ich durch die Küche ging.

Eines Abends im November wollte ich vor dem Zubettgehen noch mal kurz Luft schnappen. Inder finsteren Regennacht sprang mich "Barry" unvermutet an, so dass ich parterre ging. Über mir stand "Barry" und druckte mich mit seinen mäch­tigen Pfoten fest zu Boden. Seine dicke Rute ging hin und her, ein Zeichen seines dicksten Vergnügens.

Seine lange rote Zunge verdeckte immer wieder meine Augen, so dass ich fast nichts sah.

Jetzt roch ich auch, dass die glitschige Unterlage, auf der ich festgehalten war, nicht vom Regen, sondern von "Barry"s guter Verdauung stammte. Endlich befreiten mich einige Küchenfrauen, die noch sauber gemacht hatten und einen Eimer mit Essensresten in  "Barry"s Trog leerten.

Im Schlafsaal hielten sich alle die Nase zu. Ich musste mich unter dem Gelächter der Kameraden schleunigst ausziehen und die Klamotten anderwärts verstauen.

Enoch Lemcke (1924-1928)